WER BIN ICH – UND WENN JA, WARUM NICHT?

Das Michelsentheater spielt die „Komödie der Irrungen“ von William Shakespeare 

Die Frau des reichen Kaufmannes Ägeon von Syrakus bringt auf einer Geschäftsreise, auf die sie ihren Mann begleitet, Zwillinge zur Welt, die einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Ägeon kauft einer armen Familie ihre beiden Söhne ab, die ebenfalls gerade geboren sind und sich ebenfalls bis aufs Haar gleichen, und gibt jedem seiner Söhne einen der Jungen als Diener.

Auf der Heimreise über das Mittelmeer kommt das Schiff, mit dem die junge Familie reist, in einen Sturm. Die Mutter bindet sich mit dem einen Sohn und seinem Diener an einen Mast (dies war um die Zeit von Christi Geburt offensichtlich ein gängiges Mittel, um sich vor dem Ertrinken zu retten). Der Vater bindet sich mit dem anderen Sohn sowie seinem Diener an den anderen Mast. Das Schiff zerbirst allerdings und die Familie wird getrennt.

Einer der Brüder gelangt danach nach Ephesus, wo er unter dem Namen Antipholus (Roman Fischer) mit seiner Frau Adriana (Marika Nisse) und seinem Leibeigenen Dromio (Magnus Dallmann) ein Leben als angesehener Bürger führt. Der andere Bruder, dieser heißt ebenfalls Antipholus (Delian Flessel), wird von einem anderen Schiff gerettet und gelangt mit seiner Mutter und seinem Dromio (Benett Hesse) nach Syrakus. 

Die Vorgeschichte wird von der Regisseurin (Ricarda Sohr) und dem Regisseur (Thomas Benner) geschickt in einer Unterhaltung zweier Händelerinnen (Olivia, Hanna Gaus, und Pani, Marisa Kook, sowie Lea Matthiesen als „lebende Landkarte“ Karterina) auf dem Marktplatz von Syrakus verpackt. 

Auf der Suche nach seinem verlorenen Bruder kommen der Lebemann Antipholus von Syrakus (v. S.) und sein Diener Dromio v. S. eines Tages nach Ephesus, und die Verwechslungen nehmen ihren Lauf.

Den Höhepunkt erreichen diese, als Adriana „ihren Mann“, Antipholus v. S., dazu auffordert, ihn nach Hause zu begleiten und seinen ehelichen Pflichten nachzukommen, während Dromio v. S. hinter der Haustür Wache hält. Ausgerechnet in diesem Moment kommt Antipholus von Ephesus (v. E.) nach Hause, wird aber nicht hereingelassen und beschließt deshalb, sich mit seiner Geliebten zu vergnügen. Der Goldschmied Angelo (Domenick Schiebler) soll ihm dafür die goldene Halskette holen, die Antipholus v. E. bei ihm hat anfertigen lassen. Diese landet dann allerdings bei Antipholus v. S., und als Antipholus v. E. sich weigert, die Kette sowie seine Schulden bei Pecunia (Marieke Kook) zu bezahlen, wird er sogar von der Wache (grandioser Gastauftritt von Dirk Jörns) verhaftet. 

Während Antipholus v. S. freundlich gegrüßt, mit Geld und Schmuck beschenkt wird und sogar verführt werden soll, hat sein Bruder, Antipholus v. E. also nicht so viel Glück. Als er nach seiner Festnahme vehement seine Unschuld beteuert, soll er sogar noch von einer verrückten Ärztin (voller Hingabe verkörpert von Imke Schlegel) exorziert werden.

Nebenbei stellt sich übrigens auch noch heraus, dass Antipholus v. S. Gefühle für die Schwester „seiner Frau“, Luciana von Ephesus (Fiona Klein), hegt, die diese zwar erwidert, sich aber dafür schämt.

Am Ende wird aber doch noch alles gut, weil sich kurz vor der Abreise Antiphols‘ v. S. alle Beteiligten über den Weg laufen und sämtliche Wirrungen aufgelöst werden können. Eingerahmt wurde die Michelsen-Version dieses Lustspiels von fröhlichen Tänzen um die kleine Belle (Elina Schiebler), für deren Choreographie die ehemalige Michelsenschülerin und Michelsen-theaterdarstellerin Meeri Beste verantwortlich ist. Am Ende des Stücks wollten weder die Darstellerinnen und Darsteller noch die Zuschauerinnen und Zuschauer, dass es schon zu Ende ist und so ergriff Delian Flessel alias Atipholus v. S. kurzerhand die Initiative und sorgte für eine Zugabe, indem er das Ensemble zu einem weiteren Tanz aufforderte. 

Anspruchsvolle Theater- und Literaturkritiker stören sich seit der Entstehung des Schauspiels im späten 16. Jahrhundert an der Frage, warum sowohl die Brüder als auch deren Leibeigene denselben Namen tragen und wie wahrscheinlich es ist, dass sich zwei erwachsene Brüder, Zwillinge oder nicht, so sehr ähneln, dass man sie nicht unterscheiden kann. Der Laie beantwortet diese Frage einfach damit, dass das Stück anders wohl kaum funktionieren würde. 

Und dass es funktioniert hat, darüber sind sich vermutlich alle, die am Sonntag, den 22.01.23 oder am Donnerstag, den 26.01.23 in der Aula der Michelsenschule dabei waren, einig. Die Zuschauerinnen und Zuschauer durften sich über ein liebevoll inszeniertes und unterhaltsames Stück freuen, bei dem allen Darstellerinnen und Darstellern die Freude am Theaterspielen anzumerken war und bei dem man von der ersten bis zur letzten Minute mit Spannung die sich immer weiter zuspitzenden Verwechslungen verfolgt. 

Man möchte niemanden besonders hervorheben, weil es alle Schauspielerinnen und Schauspieler verdient hätten, besonders hervorgehoben zu werden. Wieder einmal ist es Schülerinnen und Schülern sowie Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung von Herrn Benner und Frau Sohr gelungen, ein professionelles Theaterstück auf die Bühne zu bringen, das die Zuschauerinnen und Zuschauer aufgrund des ausgewählten Stückes an sich, vor allem aber aufgrund der überzeugenden, authentischen und originellen Schauspielleistungen zu fesseln vermochte. Auch den anderen Beteiligten, die hinter den Kulissen mitgewirkt haben, gilt ein herzlicher Dank. Denn eine Maske (Emily Fuchs, Emely Hutzl und Fiona Wein), Kostüme (Imke Schlegel) sowie das richtige Licht und der richtige Ton (Ole Nisse und Henrik Rentel) sind für eine Theatervorstellung mehr als nur das Salz in der Suppe!

Fällt wirklich der letzte Vorhang?

Zu Beginn der Aufführung machte die Theatergruppe darauf aufmerksam, dass mit dem drohenden Abriss der Aula auch der Fortbestand des Michelsen-Theaters gefährdet sei. Der Abend hat wieder einmal gezeigt, wie viel mehr die Schule sein kann als der Unterricht am Vormittag, nämlich das, was sich alle von ihr wünschen: ein Ort der Begegnung, der Kultur, ja der Lebensfreude. Wir hoffen alle, dass für die Aula eine Lösung gefunden wird, die dies weiterhin ermöglicht.

Eine Ära geht mit dieser Aufführung aber auf jeden Fall zu Ende, denn nach 31 Jahren und fast genauso vielen verschiedenen Aufführungen geht Herr Benner im Juli in den Ruhestand. Vielen Dank für viele tolle Theaterstücke! Dass die letzte Tafel für den Lehrer Thomas Benner im Sommer gewischt sein wird, steht praktisch fest. Aber der letzte Vorhang für den „Theater-Regisseur“ Thomas Benner ist ja vielleicht noch nicht gefallen…

Stefan Plitzko